Arbeiten auf dem Schiff · Ausbildung/Handwerk

Vorfälle und Unfälle

Der 11. Juni war wohl der denkwürdigste Tag meines gesamten ersten Vertrags. Zu dieser Zeit waren wir gerade auf schottischen Gewässern unterwegs.

Das macht für uns insofern einen Unterschied zu anderen Routen, weil hier die Behörden besonders strenge Kontrollen an Bord vornehmen können.

In der Küche herrscht sowieso schon Sauberkeit, aber in solchen Fällen wird dann mit Zahnstochern und Taschenlampen ausgerückt, um auch ja keinen Schmutz zu übersehen. Das bedeutet dann auch oft Überstunden für uns.

An diesem Tag war diese doch stressige Zeit gerade wieder vorbei, und wir konnten wieder etwas Luft holen. Dachten wir jedenfalls.


Der Tag wäre an sich auch ohne Zwischenfälle schon etwas mühsam geworden. Gleich am Morgen ist eine Inspektion durch den Hotelmanager anberaumt worden. Diese wird einmal pro Reise in den verschiedenen Abteilungen durchgeführt. Hierbei wird auf die korrekte Lagerung, Sauberkeit und Arbeitsweise geachtet. Mit dabei sind auch der Küchenchef, der Schiffsdoktor und die Krankenschwester, die auch Proben nehmen können. Das bedeutet für mich, dass wir plötzlich zu fünft in einem Bereich stehen, den ich normalerweise allein nutze. Somit bin ich während der Kontrolle platztechnisch eingeschränkt in meiner Arbeit. Und natürlich möchte man nicht zu viel Dreck machen, während hier Leute herumlaufen.

Und gerade an diesem Tag hätte ich genug zu tun gehabt, da am Abend auch wieder das Köchedinner war, für das wir unsere eigenen Speisen aussuchen dürfen und das auch außertourlich einen Teil der Arbeitszeit wegnimmt.


Etwa eine Stunde später war ein Drill für das Medical Team geplant, in dem ich ja bin. Dabei wurde für ungefähr eine halbe Stunde eine Situation geschildert und wie wir darauf zu reagieren hätten. Normalerweise sind diese Drills extrem spannend, da man einiges dazu lernt, auch für außerhalb des Schiffes. An diesem Tag war es aber nur noch ein zusätzlicher Faktor, der mich vom Arbeiten abhielt.

Am frühen Nachmittag stand dann für das gesamte Küchenpersonal ein Sicherheits-Drill auf dem Plan. Dabei wurden wir nochmal geschult, wie im Fall eines Fettbrandes das Feuer einzudämmen ist und wo wir diese Vorrichtungen finden.

Soweit lief alles nach Plan. Aber schon am Vortag bahnte sich etwas an, das dann zu diesem Ausnahmezustand führte.

Ein Schiff ist ein in sich geschlossener Mikrokosmos. Das heißt in diesem Fall, dass sich verschiedene Krankheiten sehr viel schneller ausbreiten können als an Land. Wir sind auf engstem Raum beisammen und daher auch leichter dem Risiko ausgesetzt, diese Infektionen abzubekommen.

Diese können sowohl von den Gästen mit auf das Schiff gebracht als auch bei Landgängen eingeschleppt werden. Trotz sehr strenger Hygienevorschriften lässt sich so etwas nicht so schnell eindämmen. Meist gelingt es aber, alles im Rahmen zu halten.


Nicht so hier. Es wurden mehrere Fälle von Norovirus bekannt. Die Betroffenen (Gäste wie auch Crewmitglieder) wurden sofort in Quarantäne gesteckt. Diejenigen, deren Zimmerkollegen angesteckt waren, mussten das Zimmer für die Dauer der Quarantäne räumen und wurden woanders untergebracht. Dies ging sogar so weit, dass keine Crewkabinen mehr frei waren und somit einige Crewmitglieder in leerstehenden Gästekabinen einquartiert wurden.

Tatsächlich wurde man da schon ein bisschen neidisch darauf, und meine Zimmerkollegin und ich wünschten uns zum Spaß gegenseitig die Quarantäne, um auch in den Genuss einer Passagierkabine kommen zu können.

Nicht mehr so spaßig war es, als wir zwischen den beiden Drills plötzlich zu einem medizinischen Notfall gerufen wurden. Ein Herr war zusammengebrochen und dieser musste behandelt werden. Glücklicherweise stellte es sich nicht als etwas Gravierendes heraus.

Das grassierende Virus wirkte sich als extrem schwächend für den Kreislauf aus, was auch hier der Fall war. Somit mussten wir ihn nur in das Schiffshospital transportieren, wo er dann von der Schiffsärztin weiterbehandelt wurde.


Das alles passierte noch vor meiner Mittagspause an diesem Tag. Diese hatte ich dann auch bitter nötig, da ich durch all die Unterbrechungen weder viel arbeiten konnte noch zum Trinken kam, und sich dadurch auch schon heftige Kopfschmerzen anbahnten.

Also ging es dann schnell ins Bett für ein Nickerchen. Doch ich war gerade erst eingeschlafen, da ertönte schon der Gong vor einer Durchsage. Normalerweise hören wir diese nicht in den Crewkabinen, außer es betrifft uns direkt. In diesem Fall war es das Signal für “Mann über Bord”.


Im ersten Moment wusste ich vor Müdigkeit und Kopfschmerz gar nicht, ob ich darauf überhaupt reagieren musste. Aber ein rascher Blick auf meine zugewiesenen Alarmsignale klärte mich auf.

Also ging es direkt an das Sidegate, an dem wir einen Gast in Empfang nahmen, der aus dem Zodiac-Schlauchboot gefallen war. Diese waren gerade auf einer Rundfahrt um Boreray, Schottland. Das Wetter hatte sich aber rapide verschlechtert und der Seegang war stärker geworden. Als das Boot am Schiff anlegen wollte, um die Gäste aussteigen zu lassen, sorgten die Wellen dafür, dass das nicht gelang beziehungsweise extrem erschwert wurde. Der betreffende Gast konnte sich nicht mehr halten und ging über Bord. Mit ihm auch zwei Crewmitglieder, die ebenfalls am Sidegate standen, um den Gästen beim Ausstieg behilflich zu sein. Diese konnten sich rasch selbst retten. Der Herr aber war ein paar Sekunden unter Wasser. Außerdem bestand die Gefahr, dass er durch den Seegang unter die Plattform getrieben wird, die als Anlegestelle für die Zodiacs dient, und von den Wellen nach oben gedrückt wird.

Glücklicherweise konnte das aber verhindert werden, und der Gast war schnell im Schiff. Wir brachten ihn dann erst einmal ins Hospital um den Allgemeinzustand zu überprüfen. Er war ansprechbar und machte einen fitten Eindruck. Aufgrund seiner gesundheitlichen Vorgeschichte, seines Alters und der doch etwas längeren Zeit im Wasser wurde er aber am nächsten Tag ausgeschifft, da die Gefahr einer Lungenentzündung zu groß war und diese an Bord nur begrenzt hätte behandelt werden können.


Nun konnte ich zumindest noch ein paar Minuten ausruhen, bevor es in den Nachmittagsdienst ging.

Mittlerweile erfüllte mich der Gedanke an die Cocktails, die wir beim Köche-Dinner immer an der Bar serviert bekamen, mit Freude. Doch diese wurde schnell von einer erneuten Alarmierung eines medizinischen Notfalls verdrängt. Der Alarm wurde aber rasch wieder zurückgezogen, da der betroffene Passagier eben erst aus dem Hospital gekommen war und somit auch sofort versorgt werden konnte. Trotzdem war es noch ein weiterer Punkt auf der Liste von Ereignissen dieses Tages, auf den ich verzichten hätte können.


Das Einzige, was nun noch zwischen mir und den heiß ersehnten Getränken stand, war unser Auftritt auf der Bühne. Als wir uns alle in Ausgehschürze und Kochmütze in der Küche versammelt hatten, um gemeinsam in Richtung Veranstaltung zu gehen, machte der Küchenchef aber eine Ankündigung.

Diese lautete grob wie folgt: “Aufgrund der vielen Krankheitsfälle wird die Veranstaltung abgesagt, um Crew und Passagiere zu schützen. Weiters ist auch die Crew-Bar vorübergehend geschlossen und auch in den Gemeinschaftsräumen sind größere Versammlungen nicht erlaubt.”


Im ersten Moment dachten wir alle an einen Scherz.


Doch leider war es der volle Ernst der Brücke, so gravierend war die Lage.

Laut Aussagen von Crewmitgliedern, die schon länger hier arbeiten, waren solche Maßnahmen nicht mal während der Corona-Zeit der Fall gewesen.

 

 

Doch Not macht erfinderisch und daher bin ich dann auch noch zu meinem Getränk gekommen. Am nächsten Tag war die Warnung schon nicht mehr so präsent und am Abend besuchten wir auf gut Glück die Zodiac-Werkstatt auf Deck 9. Dort fanden wir schließlich, was wir suchten, nämlich Gesellschaft, Unterhaltung und Musik.

Danach konnten wir aber alle wieder zur gewohnten Routine zurückkehren und unseren Alltag wieder aufnehmen.


Den Gong für die Durchsagen kann ich erst seit meinem dritten Vertrag wieder hören, ohne gleich wieder Herzklopfen zu bekommen und in den Notfallmodus zu schalten.

Und die Ereignisse dieses Tages werden auch von Crewmitgliedern weitererzählt, die erst später aufgestiegen sind und diesen Tag nicht miterlebt haben. Es war also eine mehr als denkwürdige Zeit.

 

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